Seit dem 09. Februar müssen verschreibungspflichtige Arzneimittel innerhalb der EU nun den neuen Serialisierungsrichtlinien entsprechen. Die Etablierung neuer Soft- und Hardware ging für viele Unternehmen mit hohen Kosten und Validierungsaufwänden einher. Ein Blick auf andere Märkte zeigt: Dies könnte erst der Anfang gewesen sein. Erwarten uns künftig Track & Trace, Aggregation und Co.?
Dr. Dmitrij Lisak, Senior Consultant bei Thescon, hat zahlreiche internationale Unternehmen bei der Umstellung zur Erfüllung der Serialisierungsrichtlinien begleitet und die regulatorischen Entwicklungen weltweit seit Jahren verfolgt. Wie schätzt er die künftige Entwicklung ein?
Dr. Lisak, in Russland sollen künftig zusätzliche Informationen in dem 2D Matrix Barcode integriert werden. Welche Funktionen erfüllen diese Daten und werden wir Crypto Key und Crypto Code bald auch hier in der EU wiederfinden?
Dr. Lisak: “Der Crypto Code wurde spezifisch für den russischen Markt eingeführt. Für die russischen Behörden stellt er eine weitere Legitimationsebene dar. Die Implementierung ist sehr komplex - sowohl für die IT als auch hinsichtlich Artwork und Linienausstattung.
Märkte außerhalb Russlands haben bisher keine konkreten Pläne geäußert, dieses komplexe Verfahren zu übernehmen und davon ist, aus meiner Sicht, auch nicht auszugehen.”
Track & Trace (T&T) ist bereits in anderen Ländern wie China, den USA und Russland beschlossene Sache. Erwarten Sie diese Entwicklung auch für Europa und warum wurde Track & Trace hier bislang nicht eingeführt?
Dr. Lisak: “Track & Trace stellt deutlich höhere Anforderungen an IT Systeme und Prozesse innerhalb der Lieferkette. Auch in den USA wird Track & Trace stufenweise bis 2023 und nicht ab Tag 1 eingeführt. Doch nicht nur Behörden in verschiedenen Ländern fordern Track & Trace, auch viele Unternehmen führen schon vollumfängliches Track & Trace unabhängig von behördlichen Anforderungen ein, um die Rückverfolgbarkeit und die Überwachung in der Lieferkette zu verbessern. Es ist aus meiner Sicht nur eine Frage der Zeit, bis Track & Trace sowohl von Behörden als auch von Marktteilnehmern in Europa vorausgesetzt wird.”
Bislang sind von den Serialisierungsvorschriften in Europa weitgehend nur verschreibungspflichtige (Rx) Arzneimittel betroffen. In anderen Ländern fallen jedoch auch die sogenannten “over the counter” (OTC) Produkte unter die Serialisierungspflicht. Schätzen Sie, dass auch in Europa OTC Produkte bald serialisierungspflichtig werden?
Dr. Lisak: “Die Unterscheidung zwischen Rx und OTC Produkten ist im Rahmen der Lieferkette aus Sicht eines Lizenzinhabers eher sekundär. OTC Produkte können auch ein ähnlich hohes Fälschungspotential aufweisen wie Rx Produkte, wie man am Beispiel von Omeprazol* sieht. Die ausschließliche Betrachtung von Rx Produkten macht für die Einführung von komplett neuen Regularien Sinn, aber die Ausweitung der FMD auf OTC Produkte wäre ein logischer zukünftiger Schritt.”
Aggregation - in zahlreichen Ländern wie China, Brasilien, USA, Russland und Japan bereits verpflichtend oder in Planung. Ist es nur eine Frage der Zeit, bis Aggregation auch in Europa zur Pflicht wird?
Dr. Lisak: “Aggregation findet zum Teil schon heute zwischen verschiedenen Partnern der Lieferkette Anwendung, auch wenn weder der EU-Hub noch die einzelnen NMVS dafür vorgesehen sind. Insbesondere für Logistiker und Ausgabestellen wie Krankenhäuser sind aggregierte Produkte im Rahmen von Track & Trace unerlässlich, um ihre operativen Prozesse weiter effizient durchführen zu können. Da ich davon ausgehe, dass Europa mittelfristig Track & Trace vollumfänglich einführen wird, ist die Fähigkeit zu aggregieren bzw. aggregierte Ware zu bearbeiten unabdingbar.”
In China gibt es bereits Regularien, die die Serialisierung innerhalb der Veterinärmedizin aufgreifen. Wird es bald auch in der EU Richtlinien zur Serialisierung von Veterinärmedizin-Produkten geben?
Dr. Lisak: “Die Track & Trace und FMD Anforderungen sollen den Schwarzmarkt und die Fälschung von Medikamenten eindämmen. Hochpreisige Veterinärprodukte haben ein ähnlich hohes Fälschungspotential wie die für den humanen Gebrauch. Lokale Behörden orientieren sich oft natürlich auch an lokalen Missbrauchsfällen, weswegen China früh die Rückverfolgbarkeit von Veterinärprodukten ins Spiel bringt. Hier ist zu erwarten, dass andere Behörden ähnliche Regularien erwägen werden.”
Vielen Dank für Ihre Einschätzung, Dr. Lisak. Abschließend noch eine letzte Frage. Die Regularien sind international divers und ändern sich teilweise rasant, wie wir es in den letzten Jahren in Russland verfolgen konnten. Was empfehlen Sie Ihren Kunden, um über die länderspezifischen Regularien up-to-date zu bleiben?
Dr. Lisak: “Die Websites von spezialisierten Beratungsunternehmen wie Thescon bieten mit Interviews, Whitepapern und Web-Seminaren einen guten Anlaufpunkt. Viele Kunden (ehemalige wie aktuelle) schätzen auch den persönlichen Austausch mit uns, ob telefonisch oder bei einem Kaffee. Wie die aktuelle Entwicklung auf den Märkten aussieht, welche Erfahrungen mit Lieferanten und Inspektoren gemacht wurden und wie unsere Sicht der Dinge ist - Über solche Anfragen freuen wir uns, denn wir teilen unser Wissen gerne.”
Wenn auch Sie Fragen zu globalen Serialisierungsvorschriften oder anderen aktuellen Richtlinien haben, können Sie unverbindlich mit uns in Verbindung treten.
*In den Jahren 2013 und 2014 sind Fälschungsvorfälle in Deutschland publik geworden, die das Medikament Omeprazol betrafen. Etwa 600 000 Packungen wurden beschlagnahmt. Mehrere Hersteller mussten ihre Chargen zurückrufen.